Laudatio von Martin Rolshausen, Journalist und medialer Wegbegleiter des Saarbrücker Bürgerforums e. V.


50 Jahre Saarbrücker Bürgerforum

Eine Laudatio von Martin Rolshausen

 

„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache - auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört." Ich halte diesen journalistischen Anspruch, wie ihn der Fernseh-Mann Hanns Joachim Friedrichs formuliert hat, für falsch.


Wenn etwa jemand wie ich, Fußball für überbewertet hält, dann wird er mit ziemlicher Sicherheit kein guter Fußballreporter sein. Ähnlich ist das beim Lokaljournalismus. Ich habe nie dazugehört zum Saarbrücker Bürgerforum – aber ich habe mich gemein gemacht mit seiner Zuneigung zu dieser Stadt und mit der Arbeitsweise Ihres Vereins: Ursachen städtebaulicher Fehlentwicklungen analysieren und aufzeigen, was sie für die Bürgerinnen und Bürger bedeuten. Vor allem aber: Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. So arbeiten Sie seit nun 50 Jahren – und das ist auch die Idee des konstruktiven Journalismus.


Das hat uns immer verbunden: die Gestaltung einer menschenwürdigen Stadt, wie Sie es in Ihren Statuten formulieren. Ich denke, das ist – in einer Bürgerbewegung und bei Journalistinnen und Journalisten – nur möglich, wenn man sich als Teil des Ganzen betrachtet. Als wenn man nicht mit Distanz oder sogar von oben herab von „Ihr“ spricht oder schreibt, sondern als Teil des „Wir“.


Und das unterscheidet das Saarbrücker Bürgerforum von den sogenannten besorgten Bürgern, die sich lautstark bemerkbar gemacht haben mit ihren „Spaziergängen“ und denen vor allem ein Teil der Politik nur allzu gerne zugehört hat – die Bürger waren schließlich besorgt… Diese Bürger waren weder konstruktiv, noch hatten sie das „Wir“ im Sinn. Sie wollten einfach ihrer Wut und ihrem Hass auf alles, was nicht in ihr begrenztes Weltbild passte und womöglich Solidarität mit anderen erfordert hätte, freien Lauf lassen. Sie dagegen machen den Menschen Mut, Sie ermutigen Ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger – Sie sind Mutbürger.


Wobei es in diesen 50 Jahren immer wieder Grund gab, wütend zu sein auf das, was Stadtrat und Stadtverwaltung für eine gute Idee und was Investoren für profitabel hielten. Sie haben in solchen Situationen aber immer das Gespräch gesucht – nicht lautstark, nicht aggressiv. Das begann beim Altstadtfest, das Sie erfunden haben. Sie haben die Saarbrückerinnen und Saarbrücker zum Feiern zusammengebracht, sie aber gleichzeitig eingeladen, sich dabei Gedanken über ihre Stadt zu machen.


Es ging um Stadtentwicklung, um Umweltschutz, um die Neugestaltung des Schlosses und die Frage: „Sind Ausländer wirklich an allem schuld?“ Das alles und noch einiges mehr waren bereits in den 70er und 80er Jahren Ihre Themen. Seit dieser Zeit setzen Sie sich auch dafür ein, dass der Beethovenplatz ein Wohlfühlort mitten in der Stadt wird – für Menschen und nicht für deren gefühllose Autos.


Dieser Einsatz, ja dieser Kampf, ist ein Beispiel dafür, dass es nicht gelingt, das Bürgerforum zu entmutigen. Ein anderes Beispiel sind die Schmuckelemente an Walters Eck. Das Ziel war es, die alte Fassade in die neue C&A-Architektur zu integrieren, also der Beliebigkeit etwas Charakter zu geben. Das ist nicht gelungen. Aber immerhin konnten die Elemente gerettet und an anderer Stelle aufgestellt werden.


Sie waren aber auch sehr erfolgreich – nicht nur als es darum ging, dem Schloss ein zeitgemäßes Gesicht zu geben, ohne seinen Charakter zu zerstören. Ohne das Bürgerforum gäbe es heute die Alte Brücke nicht mehr – sie wäre den Plänen, die Saar noch weiter zur Großschifffahrtsstraße auszubauen zum Opfer gefallen, weil sie phänomenal wichtigen Schiffen, die sich dann als Phantome entpuppten, im Weg gewesen ist. Sie haben gewonnen – in unser aller Interesse. Und Sie sind gescheitert, auch grandios gescheitert – etwas mit Ihrem Engagement für das Projekt „Stadtmitte am Fluss“. Da hat Ihr Mut nicht ausgereicht, um die Politik zu beflügeln.


Ob Scheitern oder Erfolg – Sie haben sich nie darauf verlassen, dass es andere schon irgendwie richten werden – schon gar nicht „die Stadt“. Auf die – also auf Rat und Verwaltung – sollten sich die Bürgerinnen und Bürger besser nicht verlassen, haben Sie mir mal in einem Interview gesagt. Auch das haben wir gemeinsam: Wir sind denen im Rathaus manchmal ganz schön auf den Wecker gegangen – und Sie tun das immer noch.


Das ist gut für diese Stadt – eine Stadt, die ich nun schon eine ganze Weile von außen betrachte. Und mit etwas Abstand ist es bei Städten ja manchmal wie mit Bildern im Museum: Man sieht das Ganze besser, als wenn man direkt davorsteht. Was ich sehe, ist eine Stadt, deren leere Ladenlokale zahlreicher und deren Handlungsspielräume enger werden. Das liegt auch daran, dass es enger wird für das Bundesland, das aus dieser Stadt heraus regiert wird. Es wird schwieriger, weil man abhängig ist von Entscheidungen, die Menschen treffen, die sich nicht gemein machen mit dieser Stadt und diesem Land. Ein amerikanischer Autokonzern hat entschieden, dass das Saarland ihm nicht wichtig ist. Der Jubel über die Ansiedlung einer US-Chipfabrik war verfrüht, die Hoffnung auf ein chinesisches Batteriewerk womöglich auch. Und auch bei ZF in Friedrichshafen spielt Saarbrücken in den Entscheidungsprozessen nur eine untergeordnete Rolle.

 

All diese Entscheidungen werden anderswo getroffen. Die Politik ist daran nicht ganz so unschuldig, wie sie den Eindruck zu erwecken versucht. Aber sie ist so hilflos, wie sie wirkt. Umso wichtiger sind Bürgerinnen und Bürger, die nicht nur grametscheln, sondern selbst Ideen entwickeln.


Wobei durchaus auch Politiker etwas tun können. Meine Frau und ich waren vor einigen Jahren in St. Petersburg in Florida. Das ist ein wundervoll lebendiger Ort. St. Pete sei aber nicht immer so gewesen, hat man uns erzählt. Es gab eine große Krise mit vielen Leerständen, Obdachlosen, die in den Häusereingängen übernachten mussten. Der Bürgermeister habe mit den Hausbesitzern gesprochen, hat man uns berichtet. Die Botschaft war: Es gibt Menschen, die leerstehende Ladenlokale brauchen, aber sie – zumindest anfangs – nicht bezahlen können: Künstlerinnen und Künstler und andere Kreative. Der Bürgermeister ging Klinken putzen und überzeugte viele Hauseigentümer, dass es auch in ihrem Interesse ist, dass die Stadt nicht vor die Hunde geht. Die Kreativen kamen und machten St. Pete zu einem bunten, lebendigen Ort – einem Ort, der auch Menschen mit Geld anzieht.


Die Themen, die das Bürgerforum seit Jahren beschäftigen, sind nicht verschwunden – ganz im Gegenteil: Armut und die Verwahrlosung ganzer Stadtteile, Wohnungsnot, das Stadtklima, die Verkehrssituation, der Denkmalschutz, als die Bewahrung zumindest eines Teils der Vergangenheit, die Integration von Zugewanderten und die Willkommenskultur, mit der ihnen die hier Geborenen begegnen. Da gibt es weiterhin viel Arbeit.


Und gleichzeitig stellt sich die Frage neu: Was ist eine menschenwürdige Stadt? Eine Stadt mit kostenlosem öffentlichen WLAN überall? Eine Stadt die Ideen entwickelt, wie sie damit umgehen will, dass der Onlinehandel eher mehr als weniger Lücken in die innerstädtische Infrastruktur reißen wird? Eine Stadt, die sich traut, das womöglich Verrückte zu denken und etwas zu riskieren?
 
Ich bin gespannt, welche Rolle die des Bürgerforums sein wird – und beobachte es aus der Ferne
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